Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.06.2022,
Nr. 22, S. 12
HIER SPRICHT DER GAST
Besser in Form denn je
Im "Schlossberg" in Baiersbronn herrscht die Passion.
Von Jürgen Dollase
Das "Genusshotel Sackmann" ist kaum wiederzuerkennen. Der traditionelle Schriftzug prangt noch wie ein Kunstwerk an einem kleineren Teil des Hauses, dann aber kommt der hochmoderne Neubau, der teilweise unter schwierigsten Corona-Bedingungen entstanden ist. Und weil man hier sehr auf kulinarische Vielfalt setzt, gibt es im Erdgeschoss ein regelrechtes kulinarisches Cluster, zu dem etwa die "Murgstube" mit Regionalküche, eine "Weinlounge" nebst Selbstbedienung an einem speziellen System für glasweisen Weinausschank, eine Kochbuchlounge, die mit ihren Beständen diesen Namen wirklich verdient, eine "Café Bar" namens "Rheinholz" - und eben das Gourmetrestaurant "Schlossberg" gehören, hinter dem Vater Jörg und Sohn Nico Sackmann gemeinsam stehen. Und weil dieses Restaurant mit seinen Auszeichnungen den Ruf des Hauses wesentlich prägt, interessiert den Gast, wie sich die Kombination aus kreativem Meister und tendenziell wildem Sohn im neuen, mit viel Naturmaterialien spektakulär stimmig ausgestatteten Ambiente entwickelt. Das Essen beginnt mit drei Kleinigkeiten vorweg, die sofort zeigen, wie variantenreich und eigenständig hier gearbeitet wird und welch hohen kulinarischen Unterhaltungswert die Gerichte haben. Es gibt eine "Knusprig soufflierte Hühnerhaut mit Apfel und Schalotte", dann "Schwertmuschel und Abalone - Camberti und Süßholz", also gutes Muschelfleisch mit der "Camberti" genannten Kombination von Schinken mit Camembert-Schimmelkulturen, sowie "Kabeljau mit Gänseleber - Yuzu, Miso". Alles schmeckt sehr angenehm und gut und keineswegs so forciert, wie man vielleicht denken könnte. Für Kleinigkeiten vorweg ist es allerdings vielleicht etwas zu großzügig dimensioniert. Die "Sellerie-Dim Sum mit Seeohren (Abalone), Macis und Edamame" aus dem vegetarischen Menü sind ein typisches Sackmann-Gericht. Der Titel klingt asiatisch, tatsächlich aber schmecken Elemente wie die rötlichen Dim Sum, die Yuzu-Säure, Muskatblüte und die japanischen Edamame-Sojabohnen vor allem unnachahmlich kreativ "nach Sackmann". Jörg Sackmann gilt schon seit Jahrzehnten als unstoppbarer kreativer Kopf, der im Laufe der Jahre einen Geschmack entwickelt hat, den man nur hier so bekommt - was sich komplett auch auf seinen Sohn Nico übertragen hat. Der bretonische Steinbutt dann hat anscheinend die klassische Kombination mit einer Beurre-blanc-Buttersauce nebst einem frischen Säureanteil als Ausgangspunkt. Mit Yaroma-Kraut-Saft (Urkohl), Kapern, Limette und sogar etwas Gewürzgurke wird hier daraus eine ganz besonders wirksame, herzhafte Begleitung mit gleichzeitig großer Finesse. Da kann man dann schon darüber nachdenken, ob diese Fassung spannender als die klassischen Fassungen ist. Oder: Ein Gericht hat den Titel "Melatte Taube" (eine männliche Taube) "- Roscoff-Zwiebel, Bärlauch, Agria-Kartoffel". Serviert wird - ganz überraschend - nicht etwa eine Taubenbrust mit Begleitung, sondern ein großes Exemplar der berühmten Roscoff-Zwiebeln aus der Bretagne, in der die anderen Elemente als Füllung ein unnachahmliches, gleichzeitig feines und bodenständig wirkendes Aroma mitbekommen haben. Das Aroma der Zwiebel arbeitet hier übrigens sehr dienlich, eher als eine komplexe Würze und keineswegs mit zu starker Zwiebelnote. Auch bei der "Crepinette vom Somafer Lammkotelette mit Mairübe, Lammfett und Olivenkraut" nutzt man mit dem Schweinenetz als Hülle für Elemente, die auf dem Kotelett liegen, eine klassische Technik, kommt aber wegen der Aromen zu einem ganz eigenständigen Bild. Alles auf diesem dekorativen Teller mit zweierlei Törtchen ist bestens elaboriert, und das eingepackte Kotelett schmeckt ganz exzellent. Im "Schlossberg" profitiert die Küche ganz deutlich von der Arbeit des Sommeliers. Manuel Vogel ist ein international erfahrener, sehr passionierter Könner. Zum Steinbutt etwa gibt es einen 2019er Six Flowers vom Neethlingshof in Stellenbosch/Südafrika (eine Cuvée aus sechs Rebsorten) und zum Lamm einen 2014er Cabernet Sauvignon Knights-Valley von Beringer/Kalifornien. "Virunga" (eine Kakao-Sorte aus dem Kongo) "Moelleux" ist zum Abschluss der Name des Dessertküchleins mit flüssigem Kern, dessen ganzes Potential vor allem in Kombination mit einer texturell vielfältig variierten, kleinformatigen Begleitung von Holunderblüte, Brombeere, Johannisbeerbaiser und Mandelmilch deutlich wird. Das sympathische, engagierte und gerade kulinarisch sehr passionierte Familienunternehmen Sackmann ist besser in Form denn je.
Restaurant "Schlossberg" im Hotel Sackmann,
Murgtalstr. 602, 72270 Baiersbronn
07447 / 289 250.
Küche Mi - So von 18 - 21 Uhr
Menüs: 5 Gänge 143 Euro, 6/157, 7/169, 8/187; vegetarisches Menü: 5 Gänge 130 Euro, 6/145, 7/158.
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